Vorlesung: Methoden der Anorganischen Chemie

II. Beugungsmethoden

1. Generelles zur Beugung

Vorlage(n)

• keine

Die wichtigste Methode zur Charakterisierung kristalliner Festkörper (vollständige Strukturaufklärung) ist die Einkristall-Röntgenbeugung. Zum Verständnis der Methoden sind Kristalle (3-dimensional periodische Festkörper) und deren Symmetrie wichtig (s. Kap. II-2)

• Das physikalisches Prinzip der Beugung ist aus der Wellen-Optik bekannt (Beugung am Spalt, Beugung am Gitter). Im Unterschied zur Optik sind hier die Gitterabstände (Atomabstände) um 10⁵-fach kleiner, so dass entsprechend auch die Wellenlängen kleiner sein müssen. Damit die Wellenlängen im Bereich der Atomabstände von ca. 100 pm liegen sind je nach Strahlungs/Wellen-Art erforderlich:
  • Bei elektromagnetische Strahlung arbeitet man im Bereich der Röntgen-Strahlung (d.h. zwischen gamma- und UV-Strahlung).
  • Bei Neutronen-Strahlung sind sog. thermische Neutronen mit einer Temperatur von ca. 273 K erforderlich, deren Wellenlänge liegt bei 165 pm.
  • Elektronen haben bei ca. 40 keV Beschleunigungsspannung eine Wellenlänge von ca. 6 pm.
  Richtungen mit periodischen Anordnungen von Streuzentren finden sich in jedem idealen Kristall, der ja in alle Richtungen periodisch aufgebaut ist. Die Richtungen positiver Interferenzen der von den Streuzentren ausgehenden Elementarwellen nennt man Reflexe (s.u. zur Begründung dieser völlig irreführenden Bezeichnung). Wie beim Übergang vom Spalt zum Gitter in der Optik werden diese positiven Interferenzen/Reflexe umso schärfer, je mehr Streuzentren periodisch angeordnet sind. Dies läßt sich sehr schön mit Programmen wie
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  zeigen.
• Für die Theorie der Beugung (vgl. Kap. II-3) ergeben sich aus dem Vergleich mit der Optik die zwei Grundfragen aller Beugungsmethoden:
  1. In welcher Richtung ergibt sich positive Interferenz? An welchem Ort (unter welchen Winkeln zum Primärstrahl) erscheint ein Reflex?
  2. Welche Intensitäten haben diese Reflexe jeweils?
  Diese beiden Messwerte liefern unterschiedliche Informationen über die Struktur:
  • Der Ort der Reflexe wird vom Gitter (genauer: vom reziproken Gitter) bestimmt.
  • Die Intensitäten enthalten (leider sehr versteckt, Phasenproblem!) die Informationen über das Motiv, d.h. die Atompositionen.
  Schematisch ist eine 2D-Struktur aus regelmässig angeordneten 'L'-Motiven und das zugehörige Beugungsbild in Abbildung II.1.1. gezeigt.

  Abb. II.1.1. 2D-Struktur und ihr Beugungsbild (schematisch) ‣ SVG

  Man erkennt das reziproke Prinzip (Gitterparameter und reziproke Gitterparamter) sowie Translationssymmetrie der Struktur bzw. Punktsymmetrie des Beugungsbildes. Die Motiv-Information ist nicht unmittelbar aus dem Beugungsbild erkennbar.
• Die Einteilung der Beugungsmethoden (genereller Aufbau s. Abb. II.1.2.) kann nach praktischen/experimentellen Kriterien erfolgen:

  Abb. II.1.2. Genereller Aufbau von Beugungsexperimenten ‣ SVG

  • Nach der Strahlungsart der Quelle unterscheidet man in
    • Elektronenbeugung: Wegen der geringen Eindringtiefe von Elektronen ist die Elektronenbeugung nur für Oberflächen (vgl. LEED; RHEED) oder Gase geeignet oder sie wird indirekt als 'innere Beugung' bei der EXAFS ausgenutzt.
    • Röntgenbeugung: als DIE Standardmethode der Beugung.
    • Neutronenbeugung: als sehr teuere Beugungsmethode, die Neutronenquellen (d.h. Kernreaktoren) als Quellen erfordert.
  • Nach dem Aggregatzustand der Probe, die meist schwenk- und/oder drehbar auf einem Goniometer befestigt ist, unterscheidet man in Beugung an ...
    • ... Gasen oder Flüssigkeiten, als eher spezielle Verfahren.
    • ... Festkörpern (i.A. mit Röntgen- bzw. Neutronen-Strahlung). Bei dieser häufigsten Methodengruppe unterscheidet man weiter in die
      1. Einkristall-Verfahren (Details s. Kapitel II-5), die die einzig zuverlässige Methode zur vollständigen Strukturbestimmung darstellen und die vergleichsweise langsam (Stunden bis Tage) sind und gute grössere (ca. 0.1 mm Kantenlänge) Kristalle erfordern. Bei den Einkristall-Verfahren misst man direkt die Orte und Intensitäten der einzelnen Reflexe des Beugungsbildes, z.B. schematisch der roten Punkte in Abb. II.1.1. rechts. Zur Strukturbestimmung gibt es eine PDF-Präsentation aus dem M+K-Kurs Kristallographie und Beugung.
      2. Pulver-Verfahren (Details s. Kapitel II-4), die relativ schnell (Meßzeiten von Minuten bis Stunden) sind und lediglich eine polykristalline Probe erfordern, dafür aber nur eine begrenzte Strukturinformation (i.A. nur 'Fingerprint', d.h. Vergleich mit Bekanntem) liefern. Die Abbildung II.1.3. zeigt schematisch die Überlagerung von vier statistisch angeordneten reziproken Gittern, analog zur Abb. II.1.1. rechts. Die Reflexe gleicher Indizes liegen auf Kreisen/Beugungskegeln, so dass nur ein kleiner Ausschnitt (z.B. gelber Streifen) gemessen werden muss.

         Abb. II.1.3. Überlagerung von vier unterschiedlich orientierten Beugungsbildern: Die Reflexe mit gleichem Millerindex liegen auf Kreisen/Beugungskegeln ‣ SVG

         Die Strukturbestimmung aus Pulverdaten ist kompliziert und keine Routinemethode, inzwischen aber möglich. Die Verfeinerung von Phasen mit bekannten Strukturtypen anhand von inidizierten Pulveraufnahmen ist aber gut möglich (s. M+K-Seminar zur Rietveld-Methode).
  • Als Detektoren kommen für die Röntgenbeugung Szintillationszähler (ohne Ortsauflösung), Filme (alt), Image-Plates, CCDs oder Halbleiterzähler (alle mit Ortsauflösung) zum Einsatz.