3.1. Disilicate

Die Disilicate enthalten alle als gemeinsames Bauelement das Anion [Si2O7]6-, d.h. im ersten Kondensationsschritt wird damit ein Verhältnis von 3.5 für O:Si erreicht. Disilicate sind - wie die Orthosilicate auch - wegen der hohen Ladung des Anions vor allem mit 2- und 3-wertigen Gegenkationen A bekannt.

Die mineralogisch und technisch wichtigen Disilicate können weiter unterteilt werden in:

• Reine Disilicate (s. Tab. 3.1.1.) enthalten nur das isolierte [Si₂O₇]-Anion. Zu dieser Gruppe gehören:

  Mineral	Thortveitit	Barysilit	Rankinit
  Formel	Sc2[Si2O7]	Pb2+8Mn2+[Si2O7]3	Ca3[Si2O7]
  Struktur
  	VRML	VRML	VRML
  Mineralogie/Fotos	Foto 1, Min/Foto 2	Min./Foto 1	Min./Foto 1

  Tab. 3.1.1. Reine Disilicate
  • In der Thortveitit-Struktur (S 2₁-Typ, Sc₂[Si₂O₇]) kristallisieren die 4f-Pyrosilicate M₂[Si₂O₇]. Thortveitit ist ein seltenes, schwarz glänzendes Mineral, dessen Struktur sich ausgehend von der Schreibweise (ScO₃)₂Si₂O erklären läßt: Sc befindet sich in Oktaedern aus Sauerstoff, die (gemäß ScO_6/2) über Kanten zu CrBr₃-analogen Schichten verknüpft sind. Zwischen diesen Schichten sind die isolierten Disilicat-Anionen (Tetraederdoppel) eingebaut. Im natürlichen Thortveitit Sc₂[Si₂O₇] kommen vor allem die kleinen, also (wegen der Lanthanoidenkontraktion) die schwereren Lanthanoide vor. Die leichteren und größeren Elemente dieser Reihe gewinnt man aus Ceriterden (Ce/Th)(PO₄/SiO₄), s.a. Zirkon-Struktur).
  • Im Barysilit, Pb²⁺₈Mn²⁺[Si₂O₇]₃ (rhomboedrisch, R-3c), wird die Ladung der Silicat-Anionen durch Mn²⁺ in oktaedricher Koordination (grüne Polyeder in Abb. 3.1.1. Mitte) und durch Pb²⁺ (grau bzw. violett) ausgeglichen. Die zwei kristallographisch unterschiedliche Pb-Ionen zeigen dabei stereochemische Aktivität des Lone-Pairs und weisen eine 3+1-Koordination auf. Die drei nächsten Nachbarn (220 bis 240 pm) sind als Bindungen in die VRML-Abbildung als Pb-O-Bindungen mit aufgenommen. Barysilit kristallisiert in weißen Plättchen mit perlmuttartigem Glanz (vgl. BiOCl usw.).
  • In der Kristallstruktur von Rankinit, Ca₃[Si₂O₇] (weiß, ohne ausgeprägte Kristalle), sind gewinkelte [Si₂O₇]-Baueinheiten von drei kristallographisch unterschiedlichen Ca²⁺-Ionen umgeben, die jeweils eine Koordinationszahl von 7 aufweisen.
• Es gibt eine Reihe von Mineralen, die nebeneinander [SiO₄]- und [Si₂O₇]-Baugruppen enthalten (s. Tab. 3.1.2.). Hierzu gehören der Vesuvianit und die Minerale der Epidot-Reihe.

  Mineral	Vesuvianit	Epidot
  Formel	Ca10Al4(Mg,Fe)2[Si2O7]2[SiO4]5(OH)4	Ca2(Fe,Al)3[SiO4][Si2O7]O(OH)
  Struktur
  	VRML	VRML
  Mineralogie/Fotos	Foto 1, Foto 2, Mineralogie	Foto 1, Foto 2, Mineralogie

  Tab. 3.1.2. Gemischte Ino/Di-Silicate
  • Der Vesuvianit Ca₁₀Al₄(Mg,Fe)₂[Si₂O₇]₂[SiO₄]₅(OH)₄ ist auch als Idiokras bekannt. In der tetragonalen Struktur sind isolierte [SiO₄]- und [Si₂O₇]-Disilicat-Anionen (im Verhältnis 2:5) nebeneinander enthalten. Die Al³⁺-, Mg^²⁺- oder Fe³-Ionen sind oktaedrisch von Oxid- und OH^--Ionen koordiniert (grüne Polyeder); je zwei Oktaeder sind über Kanten zu Doppeln verknüpft. Alle Bauelemente sind über Ecken zu einem Raumnetz verknüpft, in dessen Lücken die Ca-Ionen lokalisiert sind. Ein Teil der Ca-Ionen und weitere Hydroxid-Ionen befinden sich in Kanälen entlang [001], deren 'Wände' aus den Disilicat-Gruppen gebildet werden. Die Kristalle von Vesuvianit sind meist gedrungene tetragonale Prismen, die Farbe variiert zwischen grün, gelb, grau oder braun, je nach exakter Zusammensetzung, Eisen- oder Fremdionen-Gehalt.
  • Die Epidot-Reihe ist eine Gruppe von Mineralien, die durch Substitution der Kationen Ca², Fe³⁺ und Al³⁺ ausgehend von der Grundverbindung (Epidot) Ca₂(Fe,Al)Al₂[SiO₄][Si₂O₇]O(OH) gebildet wird. Die Kristallstruktur besteht aus isolierten [SiO₄]- und [Si₂O₇]-Anionen im Verhältnis 1:1. [AlO₆]-Oktaeder (grüne Polyeder) sind untereinander über O/OH-Kanten zu Ketten verknüpft, die entlang der monoklinen b-Achse verlaufen. [Fe³⁺O₆]-Oktaeder (grün bzw. gelb) sind mit diesen Ketten ebenfalls über Kanten verbunden. Beispiele der Epidot-Gruppe sind:
    • Im Epidot selber ist ein Teil des Aluminiums gegen Eisen ersetzt: Ca₂(Fe,Al)Al₂[SiO₄][Si₂O₇]O(OH). Die meist dunkelgrünen (pistaziengrün) Kristalle sind prismatisch gestreckt nach der monoklinen b-Achse und zeigen ausgeprägten Pleochroismus. Sie geben bei 990^oC Wasser ab und zerfallen dabei (Links s. Tab. 3.1.2.).

      Abb. 3.1.1. Epidot (Wallis, Schweiz)

    • (Clino)-Zoisit, Ca₂Al₃[SiO₄][Si₂O₇]O(OH), ist die Eisen-freie Variante von Epidot. Neben der monoklinen (Clinozoisit) gibt es auch eine orthorhombische Variante (Zoisit).
      • Zoisit:
        • Mineralogie und Fotos
        • Mineralogie
      • Clinozoisit:
        • Mineralogie und Fotos
        • Clinozoisit-Epidot-Serie
    • In La-oder Ce-Allanit CaLa(Fe²⁺/Mn)(Al/Fe³⁺)[SiO₄][Si₂O₇]O(OH) (Orthit) ist ein Teil des Calciums gegen Lanthan oder Cer ausgetauscht und die Al/Fe³⁺-Position im Epidot zum Ladungsausgleich partiell durch Fe²⁺ substituiert. Allanit ist daher ein für das Vorkommen von leichten Lanthanoiden wichtiges Mineral. Es gibt auch die isotypen Y- oder Ce-Verbindungen. Einige Links:
      • Mineralogie 1
      • Mineralogie 2
• Minerale mit ausgedehnten Verbänden, die durch weitere Tetraeder entstehen sind in Tabelle 3.1.1. zusammengefaßt.

  Mineral	Melilith	Hemimorphit	Danburit
  Formel	Ca2Mg[Si2O7]	Zn4(OH)2[Si2O7].H2O	Ca[B2Si2O8]
  Tetraederkomplex	A3X7	A2X3	AX2
  Struktur
  	VRML	VRML	VRML
  Mineralogie/Fotos	Min./Foto 1	Wikipedia	Wikipedia, Mineralogie,

  Tab. 3.1.3. Minerale mit ausgedehnten Tetraederverbänden
  • In den Mineralien der Melilith-Reihe (tetragonal) entstehen durch weitere tetraedrisch koordinierte Kationen (Mg,Al) insgesamt Schichten der Zusammensetzung A₃X₇. Die Kristallstruktur der Melilithe weist also Schichten eckverknüpfter Mg- und Si-Tetraeder auf, zwischen denen die Ca-Kationen mit einer Koordinationszahl von 8 eingelagert sind. In diese Reihe gehören:
    • Im Akermanit Ca₂Mg[Si₂O₇] besetzt ausschließlich Mg die Tetraederposition.
    • Im Gehlenit Ca₂(Mg_(1-x)Al_x)[Si_2-xAl_xO₇], ist durch eine partielle Substitution von Si gegen Al ein Teil von Mg durch Al substituiert.
  • In der Kristallstruktur (OH: hellblau, Wassermoleküle: grau, Zn-Tetraeder: grün) des Hemimorphit (auch Kieselzinkerz), Zn₄(OH)₂[Si₂O₇].H₂O, entsteht durch Verknüpfung des Silicat-Bauverbandes mit [ZnO₃(OH)]-Tetraedern (alle Tetraeder sind über Ecken verknüpft, so daß die OH^--Ionen zwischen den Zn-Tetraedern liegen) insgesamt ein Raumnetz A₆X₉ = A₂X₃. (vgl. auch die Struktur von B₂O₃). Hemimorphit ist ein wichtiges Zn-Mineral. Der Name bedeutet übertragen 'halb-geformt' und deutet an, daß die Kristalle oft nur auf einer Seite schön ausgeprägte Flächen zeigen.
  • Der Danburit Ca[B₂Si₂O₈] enthält zusätzlich zur Disilicateinheit [BO₄]-Tetraeder als Bauelemente. Alle Tetraeder sind insgesamt zu einem Raumnetz der Summenformel AX₂ verknüpft, in dem 8- und 4-Ringe vorliegen. Die Ca-Ionen sind mit einer Koordinationszahl von acht eingelagert.
• Weitere Minerale mit Disilicat-Baueinheiten sind in Tabelle 3.1.4. zusammengestellt.

  Mineral/Formel	Jaffeit (Ca6[Si2O7](OH)6)	Rb2Be2[Si2O7]
  Struktur
  	VRML	VRML
  Mineralogie/Fotos	Mineralogie	-

  Tab. 3.1.4. Mineral Jaffeit und synthetisches Rb₂Be₂Si₂O₇
  • Tricalciumsilicathydrat Ca₆[Si₂O₇](OH)₆ (auch Jaffeit, Tab. 3.1.4. links) ist ein wesentlicher Bestandteil des erhärteten Zements. (Zement besteht aus Ca₃SiO₅ und Ca₂SiO₄ im Verhältnis von ca. 2:1. Zusätzlich sind Ca-Aluminate vorhanden, die über die Bildung sog. Ettingite zum Abbinden beitragen. Beim Erhärten (über Tage bzw. Monate) gehen die Inselsilicate unter Wasseraufnahme und Kondensation der Silicat-Baugruppen in Tricalciumsilicathydrat (sog. Tobermorit-Phasen) über). Die Struktur besteht aus [CaO₃(OH)₃]-Oktaedern, die über Kanten zu Doppelsträngen verknüpft sind. In die entstehenden Kanäle sind die Disilicat-Ionen in eclipsed-Anordnung eingebaut.
  • Vom Ilvait CaFe₃O[Si₂O₇(OH) hier nur ein Bild.
  • Und als letztes noch ein Beispiel mit Beryllium und Rubidium als Gegenionen, die Verbindung Rb₂Be₂Si₂O₇ (Tab. 3.1.4. rechts). Beryllium befindet sich hier in trigonal-planarer Koordination und verknüpft die Disilicat-Anionen zum Raumnetz.