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Vorlesung Strukturchemie der Oxide
2. Binäre kovalente Oxide, Nichtmetalloxide (nach Hauptgruppen)

2.7. Chalkogen-Oxide


2.7.1 S-Oxide

Es sind ingesamt mindestens dreizehn verschiedene Oxide des Schwefels bekannt, die drei prinzipiell verschiedenen Gruppen zugeordnet werden können:
  1. niedere Oxide
  2. gewöhnliche Oxide (SO2 und SO3)
  3. thermisch instabile Moleküle (S2O, S2O2, SO4 ...)

1. Niedere Oxide

Bekannte niedere Oxide (=sauerstoffarme Oxide) sind die Verbindungen SnO (mit n=5-10) und SnO2 (mit n=6,7). Beide Reihen leiten sich von den korrespondierenden cyclo-Sn-Spezies durch Addition von einem bzw. zwei O-Atomen an den Ring ab. Entsprechend lassen sie sich auch durch Oxidation von Sn darstellen.

2. Gewöhnliche Oxide

Die beiden gewöhnlichen Oxide sind SO2 und SO3:
SIVO2, das Anhydrid der schwefligen Säure, ist bei Normalbedingungen ein stechend riechendes farbloses Gas mit einem Siedepunkt von -10 oC und einem Schmelzpunkt von -75.5 oC. Es wird großtechnisch durch Verbrennen von Schwefel bzw. durch Pyritröstung (FeS2 + O2 --> Fe2O3 + SO2) hergestellt. Im Labor läßt es sich nach NaHSO3 + H2SO4 --> H2SO3 + NaHSO4 (Entwässern von schwefliger Säure) gewinnen. In allen Aggregatzuständen liegen Moleküle mit einem S-O-Abstand von 143 pm und einen O-S-O-Winkel von 119.5 o vor (Doppelbindungsanteil durch Beteiligung von d-Orbitalen des S).
SVIO3 ist das Anhydrid der Schwefelsäure und wird daher großtechnisch (durch Oxidation von SO2 mit Pt, V2O5 oder NO als Katalysator) dargestellt. SO3 bildet drei verschiedene kristalline Modifikationen:
gas flüssig 1 2 3
SO3 (gas) -> 44oC -> SO3 (fl.) -> 17oC -> gamma-SO3 H2O Spuren ß-SO3 nur direkt aus dem Gas, -80oC alpha-SO3
trig. planare SO3 Moleküle, eisartig asbestartig Schicht, Mp: 62 oC
im Gleichgewicht mit cyclischen Trimeren S3O9/ Ketten wie in der ß-Form, aber
D3h orthorhombisch monoklin zu Schichten verknüpft
S-O: 143 pm S-O: 162 pm (im Ring); 137-143 pm (exo-O) S-O: 162 pm (in der Kette); 141 pm (exo-O) thermodynamisch stabil
(zum Vergleich der Bindungslängen: S-O: 170 pm, S=O: 146 pm)

Im Handel ist sowohl festes SO3, eine Mischung der ß- und der alpha Form (MP: -40 oC) als auch die flüssige Form, die nur durch Zusatz von Borsäure usw. stabilisiert ist.

3. Instabile Moleküle

Weitere metastabile Oxide sind:

2.7.2 Se-Oxide

Selen bildet Oxide mit Selen in der Oxidationsstufe VI und IV sowie ein gemischtvalentes Oxid.

2.7.1. Struktur von SeO2 (Selenolit) 2.7.2. Struktur von SeO3 2.7.3. Struktur von Se2O5

SeO2 (Selenolit, s. Abb. 2.7.1.) enthält SeIV, ist also das Anhydrid der selenigen Säure. Es bildet weiße Kristalle, die bei 340 oC schmelzen. Es kann entweder durch Entwässern von H2SeO3 oder auch direkt aus den Elementen dargestellt werden. Die Struktur weist unendliche Ketten flacher SeO3-Pyramiden auf (Se-O in der Kette: 178 pm, exo-Se-O: 173 pm).

Das dem SO2 entsprechende Molekül SeO2 ist nur in der Gasphase existiert. Aus IR-Spektren ist auch das Dimere (ebenfalls in der Gasphase) bekannt.

SeVIO3, das Anhydrid der Selensäure, läßt sich aus K3SeO4 und SO3 darstellten, da es ein stärkeres Oxidationsmittel als SO3 ist. Aus der so entstehenden Mischung von SeO3 und SO3 kann SO3 abdestilliert werden. SeVIO3 bildet farblose hygroskopische Kristalle mit einem Schmelzpunkt von 118 oC. Die Struktur (Abb. 2.7.2.) zeigt Se4O12-Tetramere gemäß [SeO2O(2/2)]4.

Das gemischtvalente SeIV,VI-Oxid Se2O5 entsteht durch thermische Zersetzung von SeO3. Mit Wasser entstehen entsprechend Selen- und selenige Säure. Die Struktur (s. Abb. 2.7.3.) enthält Ketten, die alternierend aus flachen Pyramiden SeIVOO2/2 und Tetraedern SeVIO2O2/2 bestehen.

2.7.3 Te-Oxide

Wie beim Selen gibt es auch beim schwereren Homologen Tellur Oxide mit TeIV und TeVI sowie gemischtvalente Oxide.

Das Dioxid TeIVO2 bildet zwei verschiedene Modifikationen (alpha- und ß-Form). In beiden ist Tellur vierfach koordiniert, wobei die Geometrie entsprechend der stereochemischen Aktivität des Lone-Pair einer ψ-trigonalen Bipyramide (vier O-Atome an den vier der fünf Ecken einer trigonalen Bipyramide) entspricht.
ß-TeO2 (Tellurit) (Abb. 2.7.4.) kommt natürlich vor, läßt sich aber im Labor entweder aus den Elementen oder durch Zersetzung des Nitrates herstellen. Die gelbe, orthorhombische Hochdruckform bildet eine Schichtstruktur aus kantenverknüpften trigonalen Psi-Pyramiden. Zwei ψ-Bipyramiden sind zunächst über eine Kante zu Dimeren verknüpft. Diese sind über alle freien Sauerstoffatome weiter verbunden: Te2O2O4/2.
alpha-TeO2 (Paratellurit) (Abb. 2.7.5.) kann nur künstlich hergestellt werden. Er bildet farblose, tetragonale Kristalle mit Rutil-ähnlicher Struktur. Die ψ-trigonalen Bipyramiden TeO4 sind im Paratellurit nicht nur zu Schichten, sondern dreidimensional verknüpft.

Daneben existiert ein Hochdruckphase von TeO2 mit einer CaCl2-verwandten Struktur.

2.7.4. Schichtstruktur von TeO2 (Tellurit) 2.7.5. Raumnetzstruktur von TeO2 (Paratellurit) 2.7.6. Struktur von TeO3 2.7.7. Struktur von Te2O5

TeVIO3 kommt ebenfalls in zwei Modifikationen vor: Die gelb-orange alpha-Form entsteht durch Entwässern von H6TeO6 mit konzentrierter H2SO4 bei 600oC und O2-Atmosphäre. Es liegt der VF3-Typ vor, der ähnlich wie ReO3 aus einem dreidimensionalen Verband aus über alle Ecken verknüpften Oktaedern aufgebaut ist (s. Abb. 2.7.6.). Der VF3- kann aus dem ReO3-Typ durch Verdrehung der Oktaeder um ihre dreizählige Achse abgeleitet werden.

Die graue alpha-Form von TeO3 kann aus der ß-Form in einem geschlossenen Rohr (12 h, O2-Atmosphäre, 300 oC) hergestellt werden.

Die Struktur des gemischtvalenten Oxids Te2O5 = TeIVTeVIO5 (Abb. 2.7.7.) besteht aus TeVIO6-Oktaedern, die über vier Ecken zu Schichen (wie SbV in Sb2O4) verknüpft sind (s. a. K2NiF4-Typ). Die TeIV-Atome befinden sich zwischen den Schichten in der typischen ψ-trigonal-bipyramidalen Koordination durch Sauerstoff.

Ein weiteres gemischtvalentes Oxid ist Te4O9 (TeIV3TeVIO9) mit einer komplizierten Struktur aus TeIV Oktaederschichten und Ähnlichkeiten mit Te2O5.

2.7.4 Po-Oxide

PoO2 ist das einzige bekannte Oxid von Polonium. Es läßt sich aus den Elementen darstellen und kristallisiert in zwei verschiedenen Modifikationen: Die gelbe Tieftemperaturphase hat die Fluorit-Struktur (mit Sauerstoff-Defizit), die Struktur der roten tetragonalen Hochtemperaturform ist unbekannt.

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