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Vorlesung Strukturchemie der Oxide
2. Binäre kovalente Oxide, Nichtmetalloxide (nach Hauptgruppen)

2.5. E(IV)-Oxide


2.5.1 Si-Oxide

Obwohl die Elementstrukturen von Kohlenstoff (Diamantmodifikation) und Silicium und auch einige einfache Verbindungen vergleichbar sind, bestehen gravierende Unterschiede in der Chemie von Si und C. Während beim Kohlenstoff C-C-Bindungen die Chemie bestimmen, ist beim Si die Si-O-Si-Bindung dominierend. Ursache für diese Unterschiede sind zum Einen die Unterschiede in den Elektronegativitäten (Si: EN=1.7; C: EN 2.5). Zum Anderen bildet der Kohlenstoff als Element der ersten Periode pπ-pπ-Mehrfachbindungen, während bei Silicium unter d-Orbitalbeteiligung pπ-dπ-Doppelbindungen gebildet werden können. Diese Unterschiede werden auch in der Verbindungsbildung mit Sauerstoff d.h. dem Vergleich der Oxide deutlich:
Auch bei anderen Verbindungsklassen wird wegen der d-Orbitalbeteiligung für die Koordinationszahl von Si oft ein größerer Wert als für C beobachtet (z.B. sind Si-Halogenide wie SiF62- mit oktaedrisch koordinigertem Silicium bekannt).
Si4+ bildet mehr als 20 kristalline Phasen mit Sauerstoff, die z.T. jedoch nur mit Verunreinigungen stabil sind. Diese Verunreinigungen sind entweder Substitutionen von Si4+ durch Al3+ und entsprechend der Einbau weiterer Kationen zum Ladungsausgleich, oder die Einlagerung meist organischer Template (z.B. in Metanophlogit oder in Al-freien Zeoliten).
Wie das System B-O gehört auch Si-O zu den typischen Glasbildnern. Beim einfachen Abkühlen einer Schmelze von SiO2 erfolgt Glasbildung. Natürlich vorkommende Glasformen sind Obsidian (Abb. 2.5.1.) und Tektit (Abb. 2.5.2.).

2.5.1. Obsidian 2.5.2. Tektit

Das technisch wichtige Quarzglas weist einen Erweichungspunkt von ca. 1500 oC, einen geringen thermischen Ausdehnungskoeffizienten, hohe Transparenz für UV-Licht und große chemische Indifferenz auf. Es findet weite Verwendung, hauptsächlich auch im Labor, ist jedoch schwerer zu verarbeiten als 'Normalglas'. In der Struktur liegen eckverknüpfte SiO4-Tetraeder ohne Fernordnung vor. Andere amorphe Formen von technischer Bedeutung sind

Fast alle kristallinen SiO2-Phasen bestehen aus hochvernetzten Anordnungen von über Ecken verknüpften SiO4-Tetraedern. Ausnahmen hiervon sind der Stishovit (CN 6 = oktaedrisch koordiniertes Si, Rutil-Struktur) und das faseriges SiO2 (kantenverknüpfte Tetraeder, SiS2-Struktur, W-SiO2).
Die Si-O-Bindung zeigt ionische und kovalente Bindungsanteile. Der Ionencharakter ergibt sich nach Pauling zu 0.51, entsprechend einer Ladung von +0.96 am Silicium. Bei kovalenter Betrachtung der Bindung zeigt sich der Doppelbindungsanteil anhand der Si-O-Abstände (Einfachbindung: 177 pm, Doppelbindung: 153 pm; Si-O-Abstand im Quarz: 160 pm). Auch die Werte für die Si-O-Si-Winkel sind mit 151o relativ groß (ohne Doppelbindungscharakter wären 109o d.h. tetraedrische Koordination, zu erwarten; bei reiner Doppelbindung dagegen 180o).
Die Umwandlung der bei Normaldruck stabilen Formen von SiO2, Quarz, Tridymit und Cristobalit sind dem Phasendiagramm in Abb. 2.5.3. zu entnehmen:

2.5.3. Phasenumwandlungen von SiO2

Das vollständige p-T-Phasendiagramm (Abb. 2.5.4.) zeigt die Umwandlungspunkte der kristallinen Phasen sowie die Stabilitätsbereiche in Abhängigkeit von Temperatur und Druck. Zusätzlich zu den Normaldruckphasen sind damit die Hochdruckphasen Coesit, Keatit und Stishovit bekannt.

2.5.4. p-T-Phasendiagramm von SiO2

Die gestrichelt eingezeichneten Phasengrenzen bezeichnen metastabil erhältliche Phasen.
Die Strukturen der kristallinen Modifikationen sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt. α- und ß-Form unterscheiden sich jeweils nur wenig voneinander (s.u.).
Name+VRML GIF Si-O [pm] Winkel Si-O-Si Dichte [g/cm3] gestopfte Varianten
α-Quarz 161 144 2.65 LiAlSiO4 (ß-Eucryptit)
ß-Tridymit 156 (180) 2.26 KNa3(AlSiO4)4 (Nephelin)
ß-Cristobalit 161 (180),147 2.33 KAlO2
Coesit . . 2.91 Sr3Al2N4
Keatit . . 3.01 .
Stishovit 176-181 . 4.39 .

Die wichtigsten Modifikationen im Einzelnen

Quarz ist die bei Normaldruck und Normaltemperatur stabile Modifikation von SiO2. Seine Dichte beträgt 2.65 g/cm3. Die Struktur der α- und der ß-Phase unterscheiden sich nur wenig voneinander (s. Abb. 2.5.5. links, wo nur die Positionen der Si-Atome dargestellt sind).

2.5.5. Struktur von α- und ß-Quarz

Eckverknüpfte SiO4-Tetraeder bilden 31-Schraubenachsen um die trigonale c-Achse. Jedes dieser Tetraeder weist zusätzlich eine Verknüpfung zu zwei benachbarten Schrauben auf. Wegen der Abwesenheit von Symmetrieelementen 2. Art bildet Quarz enantiomorphe Einkristalle (rechts- und links-Quarz). Die Händigkeit bleibt beim Übergang zwischen α- und ß-Form erhalten (displazive Phasenumwandlung!). Quarz neigt zu unterschiedlichen Arten der Zwillingsbildung (s. Abb. 2.5.6.).

2.5.6. Zwillingsbildung bei Quarzen 2.5.7. Kristalltracht bei Quarzen


Damit ergeben sich eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Kristalltracht bei Quarzen (s. Abb. 2.5.7.). Quarz ist der Hauptbestandteil von Granit und Sandstein. In reiner Form kommt er als Bergkristall vor. Die wichtigsten verunreinigten gefärbten Varietäten sind:
2.5.8. Quarz 2.5.9. Amethyste 2.5.10. Achat
Zu Farben bei Quarz s.a. Angew. Chem. 85 (1973) 281.
Physikalische Eigenschaften: Wegen der Enanthiomorphie sind Quarze optisch aktiv. Da sie kein Symmetriezentrum aufweisen, zeigen sie Piezoelektrizität, d.h. Ausüben eines Drucks auf den Kristall führt zu Dipolbildung und zur Aufladung entgegengesetzter Flächen des Kristalls. Oder in Umkehrung erfolgt bei Anlegen eines elektrischen Feldes eine mechanische Deformation des Kristalls. Verwendung finden Quarze daher an der Stelle, wo mechanische Signale in elektrische Signale umgesetzt werden sollen (elektrische Uhren, Rechner, Mikrophone, Erzeugung von Ultraschall). Die Herstellung von Quarz erfolgt durch Hydrothermalsynthese bei einem Gradienten von 400o aber 360o bei einem Druck von ca. 1.7 kbar. Die Lücken in der Quarzstruktur sind relativ klein, gestopfte Varianten sind daher nur mit dem kleinen Lithium bekannt. Im ß-Eucryptit LiAlSiO4, der wegen seines kleinen und negativen Ausdehnungskoeffizient z.B. für Herdplatten verwendet wird, ersetzt Al3+ einen Teil des Si4+ und die dabei auftretende Ladungsdifferenz wird durch Li-Kationen ausgeglichen.

2.5.11. Struktur von Tridymit

Tridymit ist oberhalb von ca. 870 oC stabil. Seine Dichte beträgt 2.36 g/cm3.
Die Bezeichnung kommt aus dem griechischen (Tridymos) und weist auf die bevorzugte Bildung von Drillingen hin. In der Natur ist Tridymit nicht sehr häufig und nur mit Verunreinigungen durch Alkali- bzw. Erdalkalimetallkationen stabil. Die Si-Teilstruktur (s. Abb. 2.5.11.) entspricht der von Tridymit-Eis, d.h. es liegt die hexagonale Wurtzitstruktur vor; die 6-Ringe aus Tetraedern zeigen Wannen- und Sesselkonformation. Wie beim Quarz unterscheiden sich α- und ß-Form nur durch leichte Atomverschiebungen. Die Lücken im Tridymit (1 Lücke/2 Si-Atome; vgl. CaGa2) sind relativ große 3-fach überkappte hexagonale Prismen. Eine gestopfte Variante ist z.B. der Nephelin KNa3(AlSiO4)4.

2.5.12. Struktur von Cristobalit

Cristobalit ist die oberhalb von ca. 1470oC stabile Form von SiO2 mit einer Dichte von 2.27 g/cm3. Wie Tridymit kommt auch Cristobalit natürlich nur mit Verunreinigungen vor. Die Si-Teilstruktur entspricht der des Diamanten; die Sechsringe liegen alle in Sesselkonformation vor. Die Lücken sind gekappte Tetraeder (Frank-Kasper-Polyeder CN 16, 1 Lücke/Si-Atom, vgl. NaTl). Besetzung dieser Lücken führt z.B. zu KAlO2 oder - bei Halbbesetzung der Lücken - zu Opal (H2O _ Si2O4).

Neben diesen bei Normaldruck stabilen Formen von SiO2 sind auch kristalline metastabile Formen bekannt:

Im faserförmigen SiO2 (auch W-SiO2) liegen Ketten aus über Kanten verknüpften SiO4-Tetraedern vor. Eine gestopfte Variante hierzu ist z.B. Sr3Al2N4. Die Darstellung dieser Form soll bei Temperaturen von 1300oC und Drücken von 10-4 bar gelingen.
Weitere metastabile SiO2-Formen sind eine Reihe von Al-freien Zeolithen (z.B. Al-freier ZSM-5 = Silicalite).

Man kennt insgesamt 3 Hochdruckmodifikationen von SiO2.

2.5.13. Struktur von Coesit 2.5.14. Struktur von Keatit 2.5.15. Struktur von Stishovit

Coesit (Abb. 2.5.13.) kommt in Meteorkratern vor und hat eine Dichte von 2.91 g/cm3. Er ist chemisch inerter als Quarz und z.B. gegen konzentrierte Flußsäure beständig. Die künstliche Darstellung dieser Modifikation von SiO2 gelang Coes 1953, indem er das Na-Metasilicat Na2SiO3 mit (NH4)2HPO4 bei 700 oC und 40 kbar umgesetzt hat. Die monokline Struktur besteht aus Vierringen von SiO4-Tetraedern, die zu Ketten verknüpft sind. Diese Ketten (unterschiedliche farbig dargestellt!) sind weiter zu Schichten verknüpft, so daß weitere 4-Ringe entstehen. Insgesamt treten 4- und 6-Ringe auf, was dem beim Eis beobachteten Trend entspricht, daß bei Druckerhöhung kleinere Ringe entstehen.

Bei noch höheren Drücken ist Keatit (Dichte: 3.01 g/cm3) (Abb. 2.5.14.) stabil. Diese Modifikation kann hydrothermal bei 100 kbar und 500 oC hergestellt werden. Sie wurde erst 2015 in der Natur erstmals gefunden. Die Si-Teilstruktur entspricht der von Keatit-Eis. 41 Schraubenachsen (die in den Abbildungen unterschiedlich farbig dargestellt sind) verlaufen bei 1/2,0,z in der tetragonalen Elementarzelle. Die Tetraeder einer weiteren kristallographischen Lage verknüpfen diese Ketten untereinander, so daß insgesamt 5- ,6- ,7- und 8-Ringe in der Struktur zu finden sind.
Die SiO2-Modifikation mit der größten Dichte (4.39 g/cm3) ist der Stishovit (Abb. 2.5.15.), der in Meteorkratern gefunden wurde. Die Herstellung ist künstlich bei 180 kbar möglich. Die Struktur entspricht dem Rutil-Typ, d.h Si befindet sich in oktaedrischer Umgebung von O (CNSi=6, CNO=3) Die SiO6-Oktaeder sind über gemeinsame Kanten zu Strängen verknüpft, die entlang der c-Achse in der tetragonalen Struktur verlaufen. Diese Ketten sind über gemeinsame Sauerstoff-Ecken mit benachbarten Ketten verknüpft, so daß jedes Sauerstoffatom von insgesamt drei Siliciumatomen koordiniert ist. Es liegt damit kein offener SiO4-Tetraederverband vor, sondern die Struktur läßt sich als eine hexagonal dichte Packung von O2- beschreiben, in der die Hälfte der Oktaederlücken gefüllt sind. Das Vorliegen der Stishovit-Modifikation wird für den Dichtesprung zwischen dem inneren und äußeren Erdmantel verantwortlich gemacht.
Beim Abschrecken von gasförmigem SiO entsteht ein schwarzbraunes Polymer der Zusammensetzung SiO, das entweder als pyrophore Fasern oder glasig (durch SiO2-Schutzschicht vor weiterer Oxidation geschützt) anfällt.

2.5.2 Ge-Oxide

Die Oxide von Germanium sind denen von Silicium sehr ähnlich. Der Hauptunterschied der Phasenfolge ist, daß die höhere Koordinationszahl für Ge (d.h der Rutil-Typ) bereits bei Normaldruck stabil ist und daß Oxide mit niedrigerer Oxidationsstufe stabiler sind. Die Modifikationen von GeO2 entsprechen fast vollständig denen von SiO2. Die α-Quarz Modifikation (lösliche Form) ist in H2O löslich). Ebenfalls bekannt sind Modifikationen, die dem ß-Quarz, dem Cristobalit und dem Stishovit (unlösliche Form, Rutil-Struktur; CN 6, Ge-O 187-190 pm) entsprechen. Lösliche und unlösliche Form lassen sich ineinander umwandeln: Die Rutil-Form von GeO2 (unlösliche Form) kann bei 1033 oC in die lösliche Quarz-analoge Form überführt werden.

GeO ist im Vergleich zu SiO recht beständig (Ge2+ - Si2+). Die Darstellung erfolgt durch Oxidation von Ge z.B. mit CO2 oder durch Symproportionierung von Ge und GeO2. Die Struktur ist bisher nicht bekannt.

2.5.16. Struktur von Pb3O4 (Mennige)

Die Oxide von Zinn und Blei werden bei den Metalloxiden (Kap. 3.3.) behandelt, obwohl wegen des Lone-Pair bei den Oxiden mit 2-wertigem Metall stets Besonderheiten in der Struktur auftreten. Siehe z.B. für Pb3O4 (Abb. 2.5.16.).

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