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Inhalt Einleitung Kovalente FK Metalle Ionenkristalle Literatur

Vorlesung Anorganische Strukturchemie

2. Strukturchemie kovalenter Festkörper

2.4. Polyanionische Verbindungen


Die polyanionischen Verbindungen sind als aufgefüllte Varianten im Sinne von Kationengefüllten kovalenten (Element-analogen) Netzen (gestopfte Varianten, III) zu betrachten. Im weitesten Sinne handelt es sich dabei um Zintl-Phasen. Zintl-Phasen entstehen, wenn elektropositive Metalle der Gruppe A1 (ohne Beryllium) mit elektronegativen B2-Elementen oder auch mit Zinn, Blei, Aluminium, Gallium, Indium oder Thallium eine Verbindung eingehen. Die eigentliche Trennlinie für das Auftreten von Zintl-Phasen verläuft zwischen der 3. und 4. Hauptgruppe (sog. Zintl-Linie für die Ausbildung von Anionen). Die elektropositiven Metalle der Gruppe A1 (ohne Be) bilden binäre Verbindungen mit den elektronegativen Elementen B2, die sich gemäß der hohen Elektronegavitätsdifferenz nach ionischen Konzepten verstehen lassen: Hierzu erfolgt die Zerlegung in A1-Kationen und (komplexe) (B2)x-Anionen. Aufgrund der hohen Elektronegativität der Metalle B2 läßt sich der so entstehende Anionenteilverband nach den Regeln für kovalente Verbindungen (8-N-Regel) strukturell verstehen (sog. Zintl-Klemm-Busmann-Konzept).
Bezüglich ihrer physikalischen Eigenschaften sind die Zintl-Phasen den Halbleitern zuzurechnen, wobei die Bandlücke - wie auch bein den entsprechenden einfachen B2-Elementen - im Periodensystem von links nach rechts zunimmt (links: Übergang zu den echten intermetallischen Phasen/Metallen; rechts: Übergang zu den typischen Salzen).

H He
Li Be B C N O F Ne
Na Mg Al Si P S Cl Ar
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
Cs Ba La Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn

Viele Verbindungen mit Elementen an oder links der Zintl-Linie z.B. mit Sn, Pb, Al, Ga, In oder Tl sind typische Clusterverbindungen, die sich aber mit dem erweiterten Zintl-Klemm-Konzept unter Anwendung der Wade-Regeln für den Anionenverband ebenfalls strukturell verstehen lassen.

Das Prinzip der Bindung in den Zintl-Phasen ist, dass eine recht große Differenz der Elektronegatvitäten zwischen den beiden Bindungspartnern vorliegt und damit zunächst ionische Konzepte greifen. Es ist also für das Verständnis der Strukturen und Bindungsverhältnisse möglich, die Phasen formal in A1-Kationen und (meist komplexe) [B2]x-Anionen zu zerlegen. Der Anionenteilverband wird dann nach den Regeln für kovalente Verbindungen (8-N-Regel) strukturell verständlich, sog. Zintl-Klemm-Busmann-Konzept. Der Anionenverband muß in diesem verallgemeinerten Fall also nicht notwendigerweise elementanalog sein.

Von den physikalische Eigenschaften her sind die Zintlphasen Halbleiter. Die Bandlücke steigt, wenn der B2-Partner weiter rechts im Periodensystem steht; außerdem ist sie - wie auch bei den einfachen kovalenten Verbindungen - von der Dimensionalität des kovalenten Bauverbandes abhängig. Damit erhält man beim Gang von B2 nach links den Übergang zu den 'echten' metallischen Legierung, nach rechts den Übergang zu den typischen Salzen. Zintl-Phasen sind stöchiometrisch scharf. Sie schmelzen im Vergleich zu anderen Legierungen meist recht hoch. Die Reaktivität ist sehr unterschiedlich und reicht von extrem luftempfindlich bis sehr stabil. Sie sind als Halbleiter schlechtere elektrische Leiter als die Metalle, die Leitfähigkeit steigt mit der Temperatur. Technisch sind Zintl-Phasen ohne Bedeutung, einige Verbindungen werden aber als Thermoelektrika diskutiert.


Die meisten binären Zintl-Phasen enthalten den elektronegativen Partner mit einheitliche Bindigkeit (mittlere Bindigkeit geradzahlig, Isosterie zu den Elementen, rosa Spalten in Tab. 2.4.1). Z.B.:

CaGe2 ⟶ Ca2+ + 2 Ge- (gewellte Ge-Sechsecknetze wie in grauem Arsen, s. Abb. 2.4.1.)

CaGe ⟶ Ca2+ + Ge2- (Ge-Ketten ähnlich denen in Selen und Tellur, s. Abb. 2.4.2.)

Ca2Ge ⟶ 2 Ca2+ + Ge4- (isolierte Ge, Isosterie zu den Edelgasen, s. Abb. 2.4.3.)

Abb. 2.4.1. CaSi2 Abb. 2.4.2. CaSi Abb. 2.4.3. Ca2Si
Es sind jedoch auch eine ganze Reihe binärer Zintl-Phasen bekannt, in denn das B2-Metall in unterschiedlichen Oxidationsstufen/Bindigkeiten vorkommt, so dass gebrochene mittlere Bindigkeiten resultieren (graue Spalten unten). Entweder liegen zwei verschiedene Anionen nebeneinander vor, oder die Metallatome unterschiedlicher Bindigkeit bilden gemeinsam ein komplexeres Anion. Z.B.

Ba5Ge3 ⟶ 5 Ba2+ + Ge4- + Ge26- (Ge isoliert + Ge-Hanteln, s. Abb. 2.4.4.)

Ba3Ge4 ⟶ 3 Ba2+ + Ge46- ('Butterfly', Ge mit Bindungsordnung 2 und 3, s. Abb. 2.4.5.)

Abb. 2.4.4. Ba5Si3 Abb. 2.4.5. Ba3Si4

In der folgenden Tabelle sind die Strukturen einiger ausgewählter Beispiele von Zintl-Phasen zusammengefaßt. Alle können nach dem Zintl-Klemm-Konzept strukturell verstanden werden. Anklicken der Formel führt zur VRML-Darstellung (die B2-Element sind dabei als rote Kugeln dargestellt), (#) sind jeweils Links auf eine kurze Erklärung der strukturellen Details. Statische Bilder der wichtigsten Beispiele sind auf den Vorlagen 2.5. und 2.6. abgebildet.

mittlere Bindigkeit Bindigkeit E(III) B2=E(IV) B2=E(V) B2=E(VI) B2=E(VII) E(VIII)
4 4 NaTl (#) , CaGa2 (#) Si
3.82 36*4, 8*3 K8Si44 (#)
3 3 Na2Tl (#) KSn (#) P4
CaSi2 (#) As
2.5 2*2, 2*3 Ba3Si4 (#)
2.333 2*2, 1*3 BaSb3 (#)
2 2 - CaSi (#) LiAs (#) , CaSb2 (#) Se
1.667 4*2, 2*1 Sr2Sb3 (#)
1.5 2*2, 2*1 Sr(en)4Se4en (#)
1.25 1*2, 2*1 K2Te3 (#) , Ba(en)3Te3 (#)
1 1 - ? ? CaTe2 (#) I2
0.66 1*0, 2*1 Ca5Si3 (#)
0.5 2*0, 2*1 Ba5Sb4 (#)
0 0 - Ba2Pb (#) K3Sb (#) BaTe (#) BaI2 Xe

Abb. 2.4.1. Strukturchemie von Zintl-Phasen (Beispiele nach Bindigkeit)

Die Zintl-Linie zwischen der III. und IV. Hauptgruppe wird nur bei wenigen Beispielen (z.B. NaTl, LiGa) durchbrochen. Die Verbindungen unten rechts bilden den Übergang zu einfachen ionischen Verbindungen. Abschluß aller rosa Reihen (einheitliche Bindigkeit) sind die Elemente, zu denen der Anionenteilverband der Zintl-Phasen isoelektronisch und strukturell vergleichbar ist.
Nochmals extrem vielfältiger (aber noch nach der Zintl-Klemm-Konzeption zu verstehen) werden die Beispiele für ternäre Zintlphasen mit zwei unterschiedlichen B2-Metallen. Nur ein paar Beispiele im
nächsten Kapitel .



Details zu den Strukturen der obigen Tabelle


Isostere zu den Elementen der IV.-Hauptgruppe (Bindigkeit 4)
NaTl wird oft als Prototyp einer Zintl-Phase genannt, obwohl Thallium als Element der III. Hauptgruppe links von der Zintl-Linie liegt. Entsprechend der ionischen Zerlegung:
NaTl ⟶ Na+ + Tl-
ist Tl in NaTl 4-bindig. Der Anionenteilverband entspricht der Diamantstruktur (s. Abb. 2.4.6.). Die Na-Kationen befinden sich in der Hälfte der Tetraederlücken und in den Oktaederlücken der f.c.c.-Packung, die von der Hälfte der Tl-Atome gebildet wird.

Analog wie in NaTl liegt auch in CaGa2 ein 4-bindiger Anionenteilverband vor:

CaGa2 ⟶ Ca2+ + 2 Ga-
Da in diesem Fall auf zwei Anionen nur ein Kation eingebaut werden muß, wird entsprechend die Teilstruktur des hexagonalen Diamanten (oder Wurtzit) ausgebildet (s. Abb. 2.4.7.). Die Ca-Ionen besetzen die Oktaederlücken der h.c.p.-Grundpackung der Sulfid-Ionen (= der Hälfte der Ga-Atome).

Abb. 2.4.6. NaTl Abb. 2.4.7. CaGa2
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Bindigkeit zwischen 3 und 4
In der Reihe der Verbindungen A8M44 (A = Alkalimetall, M = Element der IV. Hauptgruppe) wie z.B. in K8Si44 liegt die Bindigkeit zwischen 3 und 4:
K8Si44 ⟶ 8 K+ + 8 Si- (3-bindig) + 36 Si0 (4-bindig)
In diesem Fall wird die Defektvariante einer reinen Tetraederstruktur, und zwar die des Clathrat-I-Typs beobachtet (8 Lücken=Kationenplätze auf 46 Atome). Durch zwei Si-Defekte/Elementarzelle im Tetraederverband entstehen 8 Atome/Zelle, die nur 3-bindig sind.

Abb. 2.4.8. K8Si44
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Isostere zu den Elementen der V.-Hauptgruppe (Bindigkeit 3)
Die Struktur der Zintl-Phase Na2Tl enthält nach
4 Na2Tl ⟶ 8 K+ + Tl48-
Tl4-Tetraeder mit formal achtfach negativer Ladung, die isoelektronisch und isotrukturell zum weißen Phosphor sind.

Der Anionenteilverband in Verbindungen wie KSn entspricht gemäß:

4 KSn ⟶ 4 K+ + Sn44-
strukturell ebenfalls dem weißen Phosphor (isolierte (B2)4-Tetraeder, Bindigkeit=3). Im KSn-Typ kristallisieren alle 1:1-Verbindungen von Na, K, Rb und Cs mit allen Elementen der 4. Hauptgruppe (außer Kohlenstoff).

In Verbindungen wie CaSi2

CaSi2 ⟶ Ca2+ + 2 Si-
liegt analog wie in KSn ein den Elementen der 5. Hauptgruppe isoelektronischer Teilverband vor: in diesem Fall findet man für Si- allerdings einen As-analogen Bauverband. Bei BaSi2 liegen dagegen wieder isolierte Tetraeder als Anionen vor.

2.4.9. Na2Tl 2.4.10. KSn 2.4.11. CaSi2

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Bindigkeit zwischen 2 und 3
Der Anionenverband in Ba3Si4 ist gemäß:
Ba3Si4 ⟶ 3 Ba2+ + Si46- ⟶ 3 Ba2+ + 2 Si- (3-bindig) + 2 Si2- (2-bindig)
und im Vergleich mit Si44- z.B. in NaSi als einseitig geöffnetes Tetraeder ('Butterfly') zu betrachten.

BaSb3 besteht nach:

BaSb3 ⟶ Ba2+ + Sb32- ⟶ Ba2+ + 2 Sb- (2-bindig) + 1 Sb- (3-bindig)
aus Schichten, die sich von der Struktur des schwarzen Phosphors ableiten lassen.

2.4.12. Ba3Si4 2.4.13. BaSb3
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Isostere zu den Elementen der VI.-Hauptgruppe (Bindigkeit 2)
In CaSi wird Si durch Übertrag von zwei Elektronen des Erdalkalimetallkations 2-binidg (Si2-):
CaSi ⟶ Ca2+ + Si2-
und das Anion ist damit hier isoelektronisch zu den Elementen der VI.-Hauptgruppe. In diesem Strukturtyp liegen planare Zick-Zack-Ketten (statt 31-Schraubenachsen wie bei den Elementen Selen oder Tellur) vor.

Auch in den Monopenteliden der Alkalimetalle wie z.B. in LiAs ist der E(V)-Teilverband isoelektronisch zu den Chalkogenen:

LiAs ⟶ Li+ + As-
In diesem Fall treten 41-Schraubenachsen auf.

Auch in den Dipenteliden der Erdalkaimetalle wie z.B. in CaSb2 ist der E(V)-Teilverband isoelektronisch zu den Chalkogenen:

CaSb2 ⟶ Ca2+ + 2 Sb-
In der Struktur von CaSb2 liegen ebene Zick-Zack-Ketten vor.

2.4.14. CaSi 2.4.15. LiAs
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Bindigkeit zwischen 1 und 2
In Sr2Sb3 und verwandten Verbindungen finden sich entsprechend der ionischen Zerlegung:
2 Sr2Sb3 ⟶ 4 Sr2+ + Sb68-
Sb-Sechser-Kettenstücke (4 * Sb- = 2-bindig und 2 * Sb2- = 1-bindig).

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In Sr(en4)Se4en
Sr(en)4Se4en ⟶ [Sr(en)4]2+ + Se42- + en
sind Se-Kettenstücke als Anionenbauverbände enthalten.

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Analog zu den Verhältnissen in Ba(en3)Te3 treten in K2Te3 nach:
K2Te3 ⟶ 2 K+ + Te32-
analoge 3-er Kettenstücke auf.

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Die Anionen in Ba(en3)Te3 sind nach:
Ba(en3)Te3 ⟶ Ba(en)32+ + Te32-
Dreier-Kettenstücke.

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Isostere zu den Elementen der VII.-Hauptgruppe (Bindigkeit 1)
CaTe2 bildet gemäß:
CaTe2 ⟶ Ca2+ + Te22-
den Übergang zu gewönlichen Salzen wie z.B. BaO2.

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Bindigkeit zwischen 0 und 1
Die ionische Aufspaltung von Verbindungen wie Ca5Si3 nach
Ca5Si3 ⟶ 5 Ca2+ + Si4- + Si26-
erklärt die in der Struktur vorliegenden Bauelelemente, isolierte, Edelgas-isoelektronische Si4--Anionen und Hanteln Si26-, die isoelektronisch zu den elementaren Halogenen sind. Der Strukturtyp ist als Cr5B3-Typ bekannt.

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Die Bindungsverhätnisse sind denen in Ca5Si3 vergleichbar in Verbindungen wie Ba5Sb4 :
Ba5Si3 ⟶ 5 Ca2+ + Si4- + Si26-

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Isostere zu den Elementen der VIII.-Hauptgruppe (Bindigkeit 0)
Ba2Pb
Ba2Pb ⟶ Ba2+ + Pb4-

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K3Sb
K3Sb ⟶ 3 K+ + Sb3-

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BaTe
BaTe ⟶ Ba2+ + Te2-

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Weitere Details zu Zintl-Phasen gibt es auf den Seiten zur Vorlesung Intermetallische Phasen und zwar:
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