Vorlesung Anorganische Strukturchemie
2.3. Strukturen kovalenter Verbindungen (Auswahl)
2.3.1. Konzepte: Isosterie, Ordnungsvarianten, aufgefüllte Varianten
In kovalenten Verbindungen hängt die Zahl der ausgebildeten Bindungen
von der Gesamtzahl der Außenelektronen ab (Isosterie).
Wenn damit in binären Verbindungen
die Zahl der Elektronen/Atom (bei intermetallischen Phasen spricht man von der
Valenzelektronenkonzentration, VEC) gleich ist, dann wird die gleiche Zahl von Bindungen
ausgebildet, es ergibt sich die gleiche Konstitution und meist gleiche Struktur
(Grimm-Sommerfeld-Regel). Der einzige Unterschied zu den jeweiligen Elementen mit
derselben VEC ist, dass jetzt polare Bindungen vorliegen und bei weiter erhöhter
Polarität schließlich ein Übergang zu den Salzen erfolgt.
Diese Zusammenhänge werden in der sogenannten Grimm-Sommerfeld-Regel-Regel zusammengefaßt:
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Binäre Verbindungen von Elementen der (N-k)- und der (N+k)-ten Hauptgruppe
besitzen die Eigenschaften der Verbindungen der N. Hauptgruppe.
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Im Prinzip die selbe, aber etwas weiter verallgemeinerte Aussage, ist die Formulierung in der
sogenannten als Mooser-Pearson-Beziehung:
Hierbei ist:
- n = Zahl
- b = Zahl der Bindung
jeweils mit:
- e = Elektronen
- A = (zwischen) Anionen
- C = zwischen Kationen
Also in der obigen Formel:
- ne = Summe der Valenzelektronen/Formeleinheit
- bA = Zahl der an Anionen-Anionen-Bindungen beteiligten Elektronen
- bC = Zahl der an Kationen-Kationen-Bindungen beteiligten Elektronen
oder Zahl der freien Elektronen am Kation
- nA = Gesamtzahl der Anionen
In dieser komplizierten Schreibweise/Formel steckt damit eigentlich nichts anderes als die 8-N-Regel.
Zur Verdeutlichung der Formel sei als Beispiel die binäre III-V-Verbindung GaAs betrachtet:
Die Summe der Valenzelektronen ne ist 3+5=8. Es gibt keine Anion-Anion- und keine
Kationen-Kationen-Bindungen (bA = (bC = 0). Die Zahl der Anionen ist 1.
Also: (8+0-0)/1 = 8 (q.e.d.).
Komplexe kovalente Verbindungen/Ionen und die
Analogien zu den Elementstrukturen:
- Danach ergeben sich strukturelle Verwandtschaften in der Art, dass
in Verbindungen mehrerer Nichtmetalle untereinander ausgehend von
den isoelektronischen Elementstrukturen eine geordnete Verteilung (I) der verschiedenen Atomsorten
(sogenannte Überstrukturen) vorliegen. Kristallographisch führen diese
stets zur Symmetrieerniedrigung, die sich
- entweder durch die Reduktion der Zahl der Symmetrieelemente bei
gleicher Elementarzellgröße (Translationengleiche Untergruppen)
(z.B.: Diamant-Gitter (Fd3̅m) ⟶ Zinkblende (F4̅3m)
- oder durch Elementarzellvergrößerung (Klassengleiche Untergruppen)
z.B. b.c.c.-Packung (Im3̅m) ⟶ CsCl (Pm3̅m)
beschreiben lassen.
Neben diesen einfachen gemischten Atombesetzungen, die sich kristallographisch exakt
beschreiben lassen, gibt es noch weitere kristallchemische (meist nicht exakt kristallographisch
zu beschreibende) Analogien für komplexere kovalente Strukturen:
- In den bindungsaufgefüllten Varianten (II)
wird in jede E-E-Bindung ein 2-bindiges Element (z.B. O, S oder Se) eingeschoben.
Auf diese Weise lassen sich weite Analogien zwischen nichtmetallischen Elementen und ihren Oxiden
und Sulfiden herstellen (z.B.
P4 ⟶ P4O10; Si (Diamant) ⟶ SiO2 (Cristobalith);
Si (hexagonaler Diamant ⟶ SiO2 (Tridymit) usw. usw. usw.)
- Lückenaufgefüllte (gestopfte) Varianten (III) sind sehr
hilfreich zur Erklärung
der Strukturchemie weitgehend kovalent aufgebauter Polyanionen, d.h. von
Salzen mit komplexen Anionen. Die zum Ladungsausgleich
eingebauten Kationen (meist elektropositive Alkali- und Erdalkalimetalle) befinden sich
in den Lücken der einfachen, zu den Elementen isoelektronischen Anionenverbände.
(z.B. Zintl-Phasen wie z.B. NaTl, CaGa2 oder CaSi2)
Auch Kombinationen der unterschiedlichen Variationen sind extrem hilfreich:
- II+III: Durch Kombination von Bindungs- und Lückenfüllung können z.B. die
Strukturen von Silicaten o.ä. erklärt werden.
(z.B. vom Si (Diamant) ⟶ Zintl-Phase NaTl ⟶ NaAlO2 oder in
anderer Reihenfolge: Si ⟶ SiO2 ⟶ NaAlO2).
Analog lassen sich Schichtsilicate z.B. auch der Arsen-Struktur ableiten.
- I + II: AlPO4 (vgl. die gesamte Si-O-Chemie)
- I + III: LiGaGe (viele Stapelvarianten, vgl. SiC)
- I + II + III: z.B. Alumosilicate, Carnegeit (NaAlSiO4 als gestopfer
Cristobalith)
Diese Strukturzusammenhänge wurden bereits in der Einleitung anhand einer Grafik
(Kapitel 1.3., Abb. 1.3.1. mit Tonspur)
betrachtet. Im Zusammenhang mit den kovalenten Verbindungen ist hier nur der
rechte Teil der genannten Abbildung relevant.
Die von den beiden Diamant-Formen abgeleiteten Strukturen sind auch
bereits Teil von Kapitel 2.2.5. (inkl. Video).
Für alle Fälle sind die strukturelle Analogien umso stärker, je weniger Freiheitsgrade
die Struktur hat, d.h. je höherdimensional die Grundstruktur ist.
Die Tabelle 2.3.1.1. gibt einen Überblick über diese Art der
Strukturzusammenhänge:
Tab. 2.3.1.1. Strukturzusammenhänge zwischen
Elementstrukturen und sonstigen kovalenten Verbindungen
Eine nochmalige Erweiterung bei aufgeweiteten Bauverbänden ist, dass sich zwei identische Bauverbände
durchdringen (z.B. Cu2O: Cuprit-Struktur).
Im Folgenden sollen die wichtigsten Strukturen der Elementisosteren behandelt werden, wobei
nur die IV. und V. Hauptgruppe mit der sehr direkten strukturellen Analogie betrachtet
werden. Diese Konzepte funktionieren selbstverständlich nur dann, wenn die 8-N-Regel
erfüllt ist.
Daher werden im Anschluß noch elektronenreiche kovalente Verbindungen
mit Oktettüberschreitung, solche mit Mehrfachbindungsanteilen sowie mit
Elektronenmangel (Cluster) besprochen.
... und los gehts mit den Isosteren zu den Elementen der IV. HG
(Kap. 2.3.2.) ...