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Inhalt Einleitung Kovalente FK Metalle Ionenkristalle Literatur

Vorlesung Anorganische Strukturchemie

4. Strukturchemie von Ionenkristallen

4.2. Strukturchemie I (Kondensation von KKP, Pauling-Regeln)

Die qualitative Folgerung für die Maximierung der Gitterenergie ist, dass die Kationen von möglichst vielen Anionen umgeben sein sollten (und umgekehrt) und Kationen und Anionen 'zueinander passen' sollen. In der Strukturchemie von Ionenkristallen gelten hierzu die empirischen Pauling-Regeln, die vereinfacht die Minimierung der potentiellen Energie wiedergeben:

1. Pauling'sche Regel: Radienverhältnisregel

Um jedes Kation wird ein Koordinationspolyeder gebildet. Der Abstand zwischen Kation und Anion ist durch die Summe der Ionenradien bestimmt, die Koordinationszahl dagegen vom Radienverhältnis.

Genauer: Nach Einführung von Polyedern um die Kationen (Festlegung der Koordinationszahl) und bei Zuordnung von Ionenradien zu den einzelnen Teilchen, wird die Koordinationszahl (CN) vom Radienverhältnis, die Atomabstände vom Wert der Ionenradien bestimmt.
Demnach bestimmt also das Radienverhältnis wesentlich die Koordinationszahl und damit auch den möglichen Strukturtyp. Konkret sind die Koordinationszahlen der Kationen in Oxiden (rein geometrische Betrachtung, Ligandenfelder vernachlässigt, Radius von O2- = 140 pm) in Tabelle 4.2.1. mit aufgeführt.

CN=4 (Tetraeder) CN=6 (Oktaeder) CN=8 (Würfel)
Radienverhältnis (untere Grenze) 0.225 0.414 0.732
Kationenradius in Oxiden [pm] 36 58 102
Zusammensetzung Strukturtypen
A2B anti-CaF2 - -
AB ZnS (Zinkblende, Wurtzit) NaCl CsCl
AB2 SiO2 Rutil, CdCl2, CdI2 CaF2
Tab. 4.2.1. Radienverhätnis-Regeln für Oxide

Beispiele: Bekanntestes Beispiel ist die Strukturtypenfolge (ZnS, NaCl, CsCl) (s. z.B. Chemie der Metalle in Kap. 2.3.) bei einfachen Salzen. Bei Silicaten ergibt sich aufgrund der Ionenradien von Si4+ und O2- unmittelbar die Koordinationszahl 4 für Silicium gegen Sauerstoff. Die Werte für andere Kationen entsprechen den in der Tabelle 4.2.1. angegebenen.
Sind in einer Verbindung unterschiedliche Kationen vorhanden, dann können eventuell nicht alle ideale Verhältnisse finden. In diesem Fall weichen die Kationen mit der geringsten Ladung und dem größten Radius auf andere Koordinationszahlen aus. Beispielsweise liegt Natrium im Sodalith Na8[Si6Al6O24]Cl2 nicht wie sonst mit der Koordinationszahl 6, sondern nur mit einer Koordinationszahl von 4 vor, während Si (höhere Ladung!) in CN 4 verbleibt.

Abb. 4.2.1. Radienverhätnisregel am Beispiel der Oxide SVG
Die Überprüfung der Radienverhältnisregel an Beispielen (s. Abb. 4.2.1.) zeigt, dass sie nur bedingt gilt. Abweichungen finden sich vor allem bei den späten Übergangsmetallen (Cu,Zn) und den Alkali- und Erdalkalimetallen. Ein Teil dieser Abweichungen wird verständlich, in den Fällen, in denen die Elektronendichte eines Kations nicht mehr kugelsymmetrisch ist. Hierbei sind drei wichtige Fälle zu erwähnen:
  1. Inert-Pair Einfluß für Hauptgruppenmetall-Verbindungen mit (maximaler Oxidationszahl-2),
  2. Ligandenfeldeinfluß für Übergangsmetall-Ionen mit nicht vollbesetzte d-Schalen
  3. Einflüsse von Metall-Metall-Bindungen
zu 1: Inert-Pair Einfluß

Bei Hauptgruppenmetall-Salzen mit Kationen der (maximalen Oxidationsstufe-2) (z.B. Sn2+, Pb2+) kommt es zu einer Verzerrung der Metall-Sauerstoff-Koordination durch das einsame Elektronenpaar. Z.B. sind im Pb2+-Oxid die 6 s2-Elektronen 'stereochemisch aktiv' (sd-Hybrid), so dass PbO und und auch SnO eine tetragonal verzerrte CsCl-Struktur ausbilden. Auch die Struktur der gemischtvalenten Verbindung Mennige, Pb3O4, ist ein schönes Beispiel für die stereochemische Aktivität des 'nichtbindenden Lone-Pairs' (statische Bilder s.a. Metall-Vorlesung Kap. 5.4.).

zu 2: Ligandenfeldeinfluß

In die Gitterenergie UL gehen bei Übergangsmetallionen mit unvollständig gefüllten d-Elektronenschalen neben den elektrostatischen Anteilen Ec und Er und kovalente Bindungsanteile, van der Waals Anteilen usw. auch Ligandenfeldstabilisierungsenergien (LFSE, Es) ein. Die Gitterenergie ist damit in diesen Fällen entsprechend größer. Der Einfluß der d-Elektronen auf das Koordinationspolyeder um Übergangsmetall-Kationen ist aus der Komplexchemie bekannt: aus der Ligandenfeld-Theorie folgt, dass die Ligandenfeldstabilisierungsenergie (LFSE) bestimmt, welches Ion welche Koordination (hier gegen den Liganden O2-) bevorzugt. Während sich in den isolierten Kationen alle d-Orbitale auf dem gleichen energetischen Niveau befinden, wird bei der LF-Theorie der Einfluß der Liganden (die zunächst als Punktladungen betrachtet werden) auf die Energieniveaus der verschiedenen d-Orbitale betrachtet. Beispielsweise geben sich im oktaedrischen und im tetraedrischen Ligandenfeld Aufspaltungen der d-Orbitale in zwei Gruppen:

Abb. 4.2.2. Ligandenfeldaufspaltungen SVG

  1. Die dxy-, dxz- und dyz-Orbitale weisen auf die Diagonalen des Koordinatensystems (t2g-Zustände).
  2. Das dx2-y2- und das dz2 liegen dagegen auf den Koordinatenachsen (eg-Satz von Zuständen).
Im oktaedrischen Feld werden entsprechend der Abstoßung Ligand ⟷ d-Orbital die t2g-Zustände entsprechend dem Schwerpunktsatz energetisch erniedrigt, während im tetraedrischen Ligandenfeld die Verhältnisse genau umgekehrt sind. Die Größe der Energieaufspaltung wird sowohl von der Art des Liganden als auch vom Metallatom bestimmt. Generell gilt, dass die Aufspaltung im oktaedrischen Ligandenfeld etwa doppelt so groß ist wie die im tetraedrischen Fall. Die Aufspaltung im oktaedrischen Feld (Δo) liegt allgemein im Bereich von 70 bis 350 kJ/mol, bei Oxiden bei 70-160 kJ/mol. Sie wird bestimmt durch: Die Kristallfeldstabilisierungsenergie (die in die Gitterenergie direkt mit eingeht) ist die Energie, die durch Einfüllen der Elektronen in die jeweils niedrigeren Niveaus gewonnen wird. Die Besetzung der Zustände folgt i. A. dem Pauli-Prinzip, die Spin-Paarungsenergie bestimmt, ob High-Spin oder Low-Spin-Systeme gebildet werden. Da die Aufspaltung im oktaedrischen Feld etwa doppelt so groß ist, wie die im tetraedrischen Feld, wird bei Kationen mit d3, d4, d6, d7 und d8-Elektronenkonfiguration i.A. die oktaedrische Umgebung bevorzugt (sog. Octahedral Site Preference Energy). Die folgende Tabelle 4.2.2. gibt einen Überblick über das Ausmaß der Bevorzugung:

Elektronenkonfiguration Oktaeder- Tetraeder-
Ion Stabilisierung Stabilisierung Differenz
d3 Cr3+ 225 67 158
d5 Fe3+ 0 0 0
d6 Fe2+ 50 33 17
d8 Ni2+ 122 36 86
d10 Zn2+ 0 0 0
Tab. 4.2.2. Oktaeder- und Tetraederstabilisierungen (in kJ/mol) durch Ligandenfeldaufspaltung

Dieser Einfluß der d-Elektronenverteilung macht sich z.B. bei den verschiedenen Übergangsmetall-Oxiden unmittelbar bemerkbar:

Abb. 4.2.3. Strukturen der Übergangsmetalloxide SVG

zu 3: Metall-Metall-Bindungen

Sobald in Ionenkristallen Metall-Metall-Bindungen auftreten, kommt es zu ungewöhnlichen Strukturen. Das beginnt zunächst mit einer Flächenverknüpfung der Polyeder (z.B. in den Trihalogeniden mit ZrI3-Struktur) und geht bis hin zur Bildung von Clustern. Typische Beispiele sind hier NbO, Wolfram-Halogenide ( WCl3 = W6Cl18) oder Chevrell-Phasen. Diese Effekte treten vor allem bei den frühen 4d- und 5d-Übergangsmetall-Ionen auf, die weit ausgedehnte d-Orbitale zeigen (Zr3+, W3+, Nb2+ usw.).

2. Pauling'sche Regel: Elektrostatische Valenzsummenregel

Die Gesamtstrukturen der Ionenkristalle folgt aus der Art der Verknüpfung der [MOn]-Polyeder. Die Verknüpfung sollte dabei in der Weise erfolgen, dass gleichnamige Kontakte maximiert und ungleichnamige minimiert werden. Für die Art der Polyederverknüpfung gilt die 2. Pauling'sche Regel:

Die Valenz eines Anions in einer stabilen ionischen Struktur versucht die Stärke der elektrostatischen Bindungen der umgebenden Kationen zu kompensieren (und umgekehrt).

Für jedes Kation i mit der Ladung Z und der Koordinationszahl CNK wird die 'elektrostatische Bindungsstärke' Si angegeben:

Si = Z CN

Si=Z/CN
Ein stabiles Ionengitter liegt dann vor, wenn die Ladung X der Anionen der Summe der Bindungsstärken der dieses Anion koordinierenden Kationen entspricht, also gilt:

X = Σi si

X = Σi si
wobei die Summation über die i Kationen um das jeweilige Anion erfolgt.

Beispiele:

3. Pauling'sche Regel

Teilung von Kanten und besonders von Flächen zwischen Koordinationspolyedern reduziert die Stabilität einer Struktur. Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt für Kationen hoher Valenz und geringer Koordinationszahl.

Bei Salzen mit mehreren Kationen werden diejenigen mit hoher Ladung möglichst weit voneinander weg eingebaut, so dass eine möglichst gute Abschirmung der Kationen voneinander möglich wird. D.h., dass die Kationen-Koordinationspolyeder möglichst wenige Polyederelemente gemeinsam haben sollten.

Beispiele

  1. Bei den verschiedenen Modifikationen des TiO2 (Strukturchemie; Verbindungen) läßt sich die Auswirkung dieser Regel direkt erkennen: Die Rutil-Modifikation (Verknüpfung über zwei gemeinsame Kanten ist stabiler als Brookit (drei gemeinsame Kanten), dieser ist wiederum stabiler als Anatas (vier gemeinsame Kanten).
  2. Bei Silicaten sind keine Beispiele für gemeinsame Flächen zwischen Tetraedern und keine Beispiele für gemeinsame Kanten zwischen Tetraedern bekannt. Die SiO4-Tetraeder sind stets entweder isoliert oder über gemeinsame Ecken miteinander verknüpft.
  3. Der Vergleich der Reihe Silicate [SiO4]4- -> Phosphate [PO4]3- -> Sulfate [SO4]2- zeigt, dass wegen der in dieser Reihe steigenden Ladung des Kations Phosphate meist nur mit wenigen gemeinsamen Ecken auftreten (häufig isoliert, als Dimere oder maximal Ketten) und dass bei Sulfaten kaum noch eine Tendenz zur Kondensation der [SO4]-Tetraeder zu beobachten ist.

4. Pauling'sche Regel

Als Erweiterung der 3. Pauling-Regel gilt, dass mehrere Kationen hoher Ladung räumlich weit voneinander getrennt sein sollten, d.h. daß diese möglichst wenige Polyederelemente gemeinsam haben sollten:

In einer Struktur mit mehreren Kationen weichen Kationen mit hohen Ladungen einem Teilen von Bauelementen aus.

Die Konsequenz z.B. für Alumosilicate ist die sogenannte Löwenstein-Regel, nach der niemals zwei Aluminium-Atome nebeneinander in den Tetraederverband eingebaut sind.

5. Pauling'sche Regel: 'Sparsamkeitsregel'

Insgesamt werden möglichst wenige Koordinationen realisiert.

Die Zahl verschiedener Bauelemente in einer Kristallstruktur ist klein.

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